10.10.25
Amatis Trio & Ib Hausmann
Freitag, 10. Oktober, 19 Uhr
Ib Hausmann – Klarinette
Amatis Trio:
Lea Hausmann – Violine
Samuel Shepherd – Violoncello
Mengjie Han – Klavier
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Konzertdauer: ca. 30 min │ Pause │ ca. 45 min
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Franz Liszt (1811–1886)
Nuages gris (Trübe Wolken)
für Klavier solo S 199
Arthur Honegger (1892–1955)
Aus der Sonatine für Klarinette und Klavier
I. Modéré
Karol Szymanowski (1882–1937)
Aus Mythen – Drei Gedichte für Violine und Klavier op. 30
I. Der Brunnen der Arethusa
Poco allegro
Nadia Boulanger (1887–1979)
Aus den Trois pièces für Violoncello und Klavier
I. Modéré
Franz Liszt (1811–1886)
Nuages gris (Trübe Wolken)
für Klavier solo S 199
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PAUSE
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Olivier Messiaen (1908–1992)
Quatuor pour la fin du Temps
I. Liturgie de cristal (Kristallene Liturgie)
II Vocalise, pour l’ange qui annonce la fin du Temps (Vokalise, für den Engel, der das Ende der Zeit verkündet)
III. Abîme des oiseaux (Abgrund der Vögel)
IV. Intermède (Zwischenspiel)
V. Louange à l’Éternité de Jésus (Lobpreis der Ewigkeit Jesu)
VI. Danse de la fureur, pour les sept trompettes (Tanz des Zorns, für die sieben Trompeten)
VII. Fouillis d’arcs-en-ciel, pour l’ange qui annonce la fin du Temps (Wirbel der Regenbögen, für den Engel, der das Ende der Zeit verkündet)
VIII. Louange à l’Immortalité de Jésus (Lobpreis der Unsterblichkeit Jesu)
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Den ersten Teil ihres Programms rahmen Ib Hausmann und das Amatis Trio mit einem kurzen Klavierstück ein. Das hat es aber in sich: Franz Liszts „Nuages gris“ (Trübe Wolken), 1881 komponiert, trägt alle Kennzeichen eines Spätwerks. Dieses ist – so hat es der bedeutende Liszt-Forscher Ernst Burger einmal formuliert – zugleich ein Alterswerk, das „auf ganz unsentimentale Weise“ vom „Fehlen der emotionalen Lebensfülle, vom Austrocknen, von Versteinerung“ spricht. In seiner skelletierten Fahlheit weist „Nuages gris“ mit seinem tonal gleichsam heimatlosen, in seiner Bogenform Vergeblichkeit ausstrahlenden Hauptmotiv und seinen unerhört ins offene ausschwingenden Schlussharmonien auf den Impressionismus und die frühe Moderne des 20. Jahrhunderts voraus.
Mit Arthur Honnegers 1922 vollendeter Sonatine für Klarinette und Klavier sind wir dann mittendrin in dieser frühen Moderne. In drei konzentriert knappen Sätzen präsentiert der Komponist verschiedene Charakteristiken des Rohrblattinstruments. Aus verhangener tiefer Lage heraus schwingt sich die Klarinette im ersten Satz („Modéré“, also gemäßigt) kurz in höhere Sphären und – vom Klavier animiert – in rhythmisch prägnantere Gebiete auf, um schnell wieder in das melancholische Fließen des Beginns zurückzufallen.
Die „Mythen“ für Violine und Klavier op. 30 von 1915 zeigen, wie sich der polnische Komponist Karol Szymanowski vom Einfluss der deutschen Spätromantik löste und – unter anderem inspiriert von Claude Debussy und Igor Strawinsky – zu einer eigenständig modernen, atmosphärischen Klangsprache fand. Mit Motiven aus der griechischen Mythologie als Hintergrund – im ersten Stück die Verwandlung der Nymphe Arethusa in einen Brunnen – lässt Szymanowski den Violin- und Klavierklang meisterhaft ineinander greifen, phasenweise gar verschmelzen. Die virtuos-raffinierten, aber stets punktgenau und musikalisch schlüssig eingesetzten Spielweisen der Violine (darunter Doppeltriller, Glissandi und Vierteltöne) lassen seine Zusammenarbeit mit dem Geiger Pawel Kochanski erkennen, für den auch die beiden Violinkonzerte entstanden.
Nadia Boulanger hat trotz ihres mit brillantem Erfolg absolvierten Studiums wenig komponiert. Stattdessen konzentrierte sie sich von 1920 an aufs Unterrichten und wurde als Kompositionslehrerin (unter anderem von Aaron Copland, Astor Piazzolla und Philip Glass) zu einer legendären, die Musik des 20. Jahrhunderts maßgeblich prägenden Instanz. Von 1914 stammen ihre „Trois Pièces“, drei Stücke für Violoncello und Klavier, von denen im ersten („Modéré“) das Cello über atmosphärischer Klavierebene einen expressiven Gesang anstimmt.
Wenigen Werken des 20. Jahrhunderts ist seine Entstehungsgeschichte so stark eingeschrieben wie Olivier Messiaens „Quatuor pour la fin du Temps“ (Quartett für das Ende der Zeit). Der französische Komponist schrieb es 1940/41 in deutscher Kriegsgefangenschaft nahe Görlitz für sich als Pianisten und seine Mitgefangenen Henri Akoka (Klarinette), Jean Le Boulaire (Violine) und Étienne Pasquier (Cello). Die Uraufführung am 15. Januar 1941 vor etwa 400 Häftlingen war für Messiaen ein einschneidendes Erlebnis. Nie wieder habe man seiner Musik „mit solcher Aufmerksamkeit und solchem Verständnis zugehört wie damals“, erinnerte er sich später.
Wie vielen Stücken des intensiv gläubigen Katholiken liegen dem Quartett religiöse Vorstellungen und seine Faszination für Vögel (als Zeichen der Vielfalt der Schöpfung) zugrunde, was in den Titeln des Werkes und der Einzelsätze benannt wird. Im Vorwort zur Notenausgabe von 1942 zitiert er zunächst als übergreifendes Sujet jene Passage aus der Offenbarung des Johannes, in der es unter anderem heißt: „Und der Engel, den ich stehen sah auf dem Meer und auf der Erde, hob seine rechte Hand auf zum Himmel und schwor bei dem, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit: Es soll hinfort keine Zeit mehr sein, sondern in den Tagen, wenn der siebente Engel seine Stimme erheben und seine Posaune blasen wird, dann ist vollendet das Geheimnis Gottes.“
Des Weiteren charakterisiert er
die Einzelsätze, in denen er die Besetzung immer wieder variiert. Die
Zitate oder Paraphrasen in der folgenden Übersicht stammen alle aus
Messiaens Vorwort.
I. Liturgie de cristal (Kristallene Liturgie) – Quartett
Das
Erwachen der Vögel, deren Gesang von Schallstaub und einem Lichthof aus
Trillern umgeben ist. Übertragen auf die religiöse Ebene: „die
harmonische Stille des Himmels“.
II. Vocalise, pour l’ange qui annonce la fin du Temps (Vokalise, für den Engel, der das Ende der Zeit verkündet) – Quartett
Die kurzen Rahmenabschnitte beschwören die Kraft des Engels herauf, im Mittelteil „ungreifbare Himmelsharmonien“.
III. Abîme des oiseaux (Abgrund der Vögel) – Klarinette solo
Der
Abgrund als Sinnbild der Zeit mit ihrer Tristesse, ihrer Ermüdung; die
Vögel als Gegenteil der Zeit, „als unser Verlangen nach Licht, nach
Sternen, nach Regenbögen und jubelnden Vokalisen“.
IV. Intermède (Zwischenspiel) – Violine, Klarinette, Violoncello
Scherzo, äußerlicher im Charakter als die anderen Sätze, aber durch melodische Erinnerungen mit ihnen verbunden.
V. Louange à l’Éternité de Jésus (Lobpreis der Ewigkeit Jesu) – Violoncello, Klavier
Jesus
als das Wort. „Eine große, unendlich langsame Phrase des Cellos
verherrlicht in Liebe und Ehrerbietung die Ewigkeit dieses mächtigen und
süßen Wortes.“
VI. Danse de la fureur, pour les sept trompettes (Tanz des Zorns, für die sieben Trompeten, in dt. Bibelübersetzung
Posaunen) – Quartett (unisono)
„Die vier Instrumente ahmen
unisono die Gongs und Trompeten nach. […] Musik aus Stein, aus riesigem
sonoren Granit, eine unwiderstehliche Bewegung aus Stahl, ungeheure
Blöcke von purpurner Raserei, von eisiger Trunkenheit.“
VII. Fouillis d’arcs-en-ciel, pour l’ange qui annonce la fin du Temps (Wirbel der Regenbögen, für den Engel, der das Ende der Zeit verkündet) –
Quartett
Passagen aus dem II. Satz kehren wieder. „Der Engel
erscheint voller Kraft, vor allem der Regenbogen, der ihn bedeckt“ (als
Symbol des Friedens, der Weisheit und aller leuchtenden und klingenden
Vibration).
VIII. Louange à l’Immortalité de Jésus (Lobpreis der Unsterblichkeit Jesu) – Violine, Klavier
Breit
angelegtes Geigensolo, Gegenstück zum Cellosolo des V. Satzes. „Der
Lobgesang ist ganz und gar Liebe. Sein langsamer Aufstieg zu extremer
Höhe bedeutet das Aufsteigen des Menschen zu seinem Gott, des
Gottessohnes zu seinem Vater, des vergöttlichten Geschöpfes zum
Paradies.“
Seine ganz eigene musikalische Sprache hatte Messiaen
zu diesem Zeitpunkt schon gefunden und setzt sie mit überwältigender
Klarheit und Konsequenz ein: Sie besteht zum einen aus einem selbst
entwickelten System aus „Modi mit beschränkter Transponierbarkeit“. Dies ist ein sehr charakteristischer Tonvorrat, der die Basis für
einen unmittelbar wiedererkennbaren melodischen und harmonischen Stil
mit einer Mischung aus tonalen und dissonanten Elementen bildet. Zum
anderen sind die rhythmischen Strukturen prägend, die abseits
herkömmlicher Taktarten und -schwerpunkte unregelmäßige Muster
ausbilden, denen aber strenge Gesetzmäßigkeiten zugrunde liegen, etwa
Vergrößerung und Verkleinerung von Tondauern oder spiegelsymmetrische
Konstellationen.
All das hat eine Musik zur Folge, die sich nicht zielgerichtet entwickelt, sondern mit stark schwankender Ereignisdichte Zustände aneinanderreiht. Nicht nur in den „unendlich“ bzw. „extrem“ langsamen, „ekstatischen“ Sätzen V und VIII scheint dadurch die Zeit still zu stehen, sondern auch in den atemlos raschen, die als eine Art rasender Stillstand keine wirkliche Bewegungsrichtung kennen. So lädt diese Musik dazu ein, sich in ihr hellwach, in einer Art konzentrierten Meditation aufzuhalten: Messiaens „Quatuor“ ist auch ein Quartett auf das Ende des Zeitempfindens.
Dr. Juan Martin Koch (c) Kulturwald gGmbH 2025
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Ib Hausmann
„Man möchte Ib Hausmann als einen Meistersinger bezeichnen, der den blauen Ton beherrscht und den gelben und den zarten sowieso, und tatsächlich schwingt in seinem Spiel bei aller Kantabilität stets ein Moment von Sprache, eben von Mitteilung mit.“ (Norbert Ely, Deutschlandfunk)
„Kammermusik von Weltformat“ (St. Galler Tagblatt 2019)
Der Klarinettist Ib Hausmann lässt sich nicht festlegen. Er liebt es Brücken zu bauen zwischen den Welten der Klassik und der Moderne, zwischen Klezmer und Jazz. Als Solist und Kammermusiker reist er seit vielen Jahren um die Welt. Zu seinen wichtigsten Lehrern und Inspiratoren gehören neben den Pianisten Menahem Pressler, Leon Fleisher und dem Komponisten György Kurtág, seine Kammermusikpartner: Kit Armstrong, Dénes Várjon, Alexander Lonquich, Herbert Schuch, Benjamin Schmid, Lukas, Veronika und Clemens Hagen, der Jazzpianist Michael Wollny, das Amatis Piano Trio und Streichquartette wie das Cuarteto Casals und das Hagen Quartett.
Der übliche Klassik Mainstream hat ihn nie interessiert. Hausmann liebt die Suche nach kreativen Herausforderungen. Wenn er etwas nicht mag, dann ist es kosmetische Glätte und äußerliche Perfektion, die die innere Leere übertüncht. Für diese künstlerischen Vorlieben stehen seine kontrastreichen Konzertprogramme und zahlreiche CD Aufnahmen: u.a. die Weltersteinspielung von Morton Feldman’s „Clarinet and String Quartet“ mit dem Pellegrini Quartett.
Preise der Deutschen Schallplattenkritik erhielt er für die Aufnahmen mit Klarinettensonaten von Max Reger und Musik von Berthold Goldschmidt. Bei EMI erschien das Quintett von Sergej Prokofieff, u.a. mit Tabea Zimmermann und Daniel Hope. Für die Deutsche Grammophon nahm er das Doppelkonzert für Klarinette und Klavier von Gerhard Frommel und die CD „Terezin“, mit Anne Sofie von Otter und Christian Gerhaher auf, die 2008 für den „Grammy“ nominiert wurde. Zusammen mit dem Amatis Trio veröffentlichte er 2022 die CD „Quartett auf das Ende der Zeit“ von Olivier Messiaen, die „enthusiastische“ Kritiken erhielt, u.a. von SZ, Klassik Heute, AllMusic.
Seit vier Jahren leitet er mit eigenen Konzertideen
sehr erfolgreich „Die Kammermusik in Wiesbaden“ und das Festival Selbold Klassik.
Amatis Trio
„Wirklich atemberaubend! Mit feinem Gespür für Farben und Nuancen, das die Inhalte der Musik in aller Klarheit hervortreten ließ“, staunte das britische Musikmagazin The Strad über AMATIS.
2014 gegründet und in Salzburg beheimatet, spielte sich AMATIS mit seiner außergewöhnlichen Energie, künstlerischen Freiheit und seinem unverwechselbaren Klang rasant an die Spitze der internationalen Kammermusikszene. Früh ausgezeichnet als BBC Radio 3 New Generation Artists (2016) und ECHO Rising Stars (2018), folgten bald darauf renommierte Preise wie der niederländische Kersjesprijs und der Borletti-Buitoni Trust Award.
AMATIS ist mehr als nur ein Klaviertrio. Die deutsche Geigerin Lea Hausmann, der britische Cellist Samuel Shepherd und der niederländische Pianist Mengjie Han lieben es, Brücken zu bauen – zwischen Tradition und Gegenwart, zwischen Musik und anderen Kunstformen, zwischen Bühne und Publikum. In ihren Konzerten suchen sie neue Welten, in denen Musik zu Erzählung wird, Bekanntes und Unerwartetes aufeinandertreffen und Programme sich wie komponierte Reisen entfalten.
Mit Offenheit und Kreativität gewinnt AMATIS ein neues Publikum für klassische Musik. Die drei Musiker entwickeln eigens konzipierte Konzerte für Kinder und wagen mit interdisziplinären Projekten wie „Humanity in War“ mit Thomas Quasthoff oder „AMATIS-Journeys" neue Konzertformate.
Für zeitgenössische Musik setzt sich das Trio leidenschaftlich ein und hat bereits 15 neue Werke in Auftrag gegeben, u.a. Andrea Tarrodis Tripelkonzert „Moorlands and Beyond," das 2024 in Edinburgh uraufgeführt wurde.
Internationale Festivals wie die BBC Proms, das Verbier Festival, die Mozartwoche Salzburg oder das Edinburgh International Festival sind ebenso Teil ihres Konzertkalenders wie Konzerte in Londons Wigmore Hall, dem Concertgebouw Amsterdam oder der Elbphilharmonie Hamburg. Als gefragte Solisten spielen sie zudem mit renommierten Orchestern, wie dem Royal Philharmonic Orchestra London, dem BBC National Orchestra of Wales und der Athen Philharmonia.
2018 erschien ihr Debütalbum bei cAvi/Deutsche Grammophon mit Werken von Britten, Enescu und Ravel. Ihre zweite Einspielung – Olivier Messiaens „Quatuor pour la fin du temps“ mit Ib Hausmann, Klarinette – wurde für den Opus Klassik nominiert und von der Aachener Zeitung als „eine der wichtigsten kammermusikalischen Veröffentlichungen der letzten Zeit“ gefeiert.
Das Trio konzertierte bereits in 48 Ländern und gab 2025 u.a. sein Debüt in Japan. Anfang 2026 kehrt es zur Salzburger Mozartwoche zurück, bevor weitere Auftritte in Großbritannien, Spanien und China folgen. Mit ihren genreübergreifenden Projekten wie „Catch-As-Catch-Can“ mit Jazzpianist Michael Wollny oder „Clouds" mit Ib Hausmann sprengt AMATIS ganz bewusst die Grenzen klassischer Konzertformate.
2026 erfüllt sich für das Ensemble mit einem eigenen Festival in Bad Reichenhall (DE) ein langjähriger Traum.
Geprägt von Musikerpersönlichkeiten wie Rainer Schmidt, Lukas Hagen, Wolfgang Redik, Hatto Beyerle, Claus Christian Schuster, Ferenc Rados und Menahem Pressler sind die Mitglieder des Trios Alumni der European Chamber Music Academy, der Hochschule für Musik Hanns Eisler und des Mozarteums Salzburg.
Seit 2019 sind sie Gastdozenten an der Universität Cambridge, geben regelmäßig Meisterkurse an internationalen Universitäten und unterstützten die Mehli Mehta Foundation in Indien mit ihrer Lehrtätigkeit.
Lea
Hausmann spielt eine Violine von Jean-Baptiste Vuillaume, die ihr
großzügig von der Beares International Violin Society zur Verfügung
gestellt wird.