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08.06.25

Deutsche Radio Philharmonie Ensemble & Thomas E. Bauer

Sonntag, 8. Juni 2025, 11 Uhr

Thomas E. Bauer – Bariton
Ermir Abesh – Violine
Shoko Murakami – Violine
Benjamin Rivinius – Viola
Min-Jung Suh – Violoncello

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Dauer: ca. 30 min │ Pause │ ca. 45 min
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Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847)
Streichquartett Nr. 2 a-moll, op. 13
I. Adagio – Allegro vivace
II. Adagio non lento
III. Intermezzo: Allegretto con moto – Allegro di molto
IV. Presto – Adagio come I

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PAUSE
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Othmar Schoeck (1886 – 1957)
Notturno op. 47
5 Sätze für Streichquartett und eine Singstimme

I. Ruhig 
„Sieh dort den Berg mit seinem Wiesenhange“
„Sieh hier den Bach, anbei die Waldesrose“
„Die dunklen Wolken hingen“
„Sahst du ein Glück vorübergehn“ 

II. Presto
„Der Traum war so wild“ 

III. Unruhig bewegt
„Es weht der Wind so kühl“

IV. Ruhig und leise
„Rings ein Verstummen, ein Entfärben“

V. Rasch und kräftig
„Ach, wer möchte einsam trinken“ 
„O Einsamkeit! wie trink’ ich gerne“
„Heerwagen, mächtig Sternbild der Germanen“

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Felix Mendelssohn Bartholdys a-Moll-Streichquartett op. 13 von 1827 ist nicht nur ein Beleg für die erstaunliche satztechnische Meisterschaft des damals 18-Jährigen. Es ist auch eines der frühesten Beispiele dafür, wie sich ein Komponist mit dem von Zeitgenossen als unzugänglich eingestuften Spätwerk des gerade erst verstorbenen Ludwig van Beethoven produktiv auseinandersetzt. Wie dieser in seinem F-Dur-Quartett op. 135 ein kurzes, textgebundenes Motiv („Muss es sein?“) als Motto einsetzt, so benutzt Mendelssohn einen ganz ähnlichen Dreiton-Gedanken aus einem eigenen Klavierlied („Ist es wahr?“ op. 9/1). Dieser erklingt erstmals in der langsamen Einleitung des ersten Satzes und dient im weiteren Verlauf der motivischen Verklammerung des Werkes. Die ungewöhnliche Formanlage, die mit Beethovens a-Moll-Quartett op. 132 in Verbindung steht, der harmonisch herbe, rhythmisch drängende Charakter und die strengen Fugato- und Fugen-Abschnitten (2. bzw. 4. Satz) dieses bei aller Bezugnahme auf Beethoven höchst eigenständigen Werks ergeben ein beeindruckendes Gegenbild zu den gängigen Mendelssohn-Klischees von Glätte und Oberflächlichkeit.

Zusammen mit Arthur Honegger und Frank Martin war Othmar Schoeck maßgeblich mitverantwortlich dafür, dass die Schweiz im 20. Jahrhundert als musikalische Stimme wahrgenommen wurde. Für den faszinierend eigensinnigen Ausdruckswillen des Zeit seines Lebens in Zürich lebenden und wirkenden Komponisten ist sein „Notturno“ für Streichquartett und eine Singstimme von 1933 ein herausragendes Beispiel. Dieses „Nachtstück“, dessen Besetzung auf Arnold Schönbergs zweites Streichquartett mit Sopran verweist, besteht aus fünf Sätzen, in denen Schoeck insgesamt zehn Gedichte – neun von Nikolaus Lenau, eines von Gottfried Keller – verarbeitet. Dabei führen immer wieder ausgedehnte rein instrumentale Abschnitte auf die Texte hin oder lassen diese nachklingen. Trotz des dichten Quartettsatzes gelingt es Schoeck dabei, der Singstimme stets genügend Raum zur Entfaltung zu geben. Die Grundstimmung von Lenaus Gedichten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts ist düster; sie changieren zwischen melancholischer Naturbetrachtung, Weltschmerz, Liebesverlustangst und Todessehnsucht. Formal gesehen bilden die längeren Sätze 1, 3 und 5 das tragende Grundgerüst des Werkes, während die Sätze 2 und 4 die Funktion von Zwischenspielen einnehmen. Am weitesten dehnt Schoeck den ersten Satz aus, indem er zwischen je zwei Gedichte zu Beginn und am Ende einen kompakten Sonatensatz (zwei Themen, Durchführung, Reprise) einschiebt. Dem zweiten Satz, einem schattenhaften Alptraum-Scherzo folgt „unruhig bewegt“ der dritte: Auf die fast expressionistischen Verse mit der Schlüsselzeile „Die Zweifel in der Brust den Nachtgesang beginnen“ reagiert Schoeck, indem er die tonale Harmonik bis an ihre Grenze ausreizt. „Ruhig und leise“ holt der vierte Satz in etwas hellerer Wald-Atmosphäre gleichsam Luft für das Finale. Hier weicht die zunächst trotzig aufgekratzte Stimmung des ersten Gedichts einem gelassenen Sich-Abfinden mit der Einsamkeit, ehe der Epilog mit einem rätselhaft hoffnungsvollen Text Gottfried Kellers einen ganz neuen, atemberaubenden Ton anschlägt: Über einer sich stetig wiederholenden Akkordfolge – lichtdurchflutet, zerbrechlich, schmerzhaft schön – blickt Schoeck mit Kellers Worten ins All, in das Sternbild des „Heerwagens“, der die Seele auf eine letzte Reise mitnehmen möge: „Ich spähe weit, wohin wir fahren.“  

Dr. Juan Martin Koch (c) Kulturwald gGmbH 2025

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Othmar Schoeck: Notturno
Gedichte von Nikolaus Lenau 
und am Ende von Satz V („Heerwagen, mächtig…“) 
ein Fragment von Gottfried Keller 

I. Ruhig

Sieh dort den Berg mit seinem Wiesenhange,
Die Sonne hat verzehrend ihn durchglüht,
Und Strahl auf Strahl noch immer niedersprüht;
Wie sehnt er nach der Wolke sich so bange!

Dort schwebt sie schon in ihrem luftgen Gange,
Auf deren Kuß die Blumenfreude blüht;
Wie flehend sich um ihre Neigung müht
Der Berg, daß sie sein Felsenarm umfange!

Sie kommt, sie naht, sie wird herniedersinken,
Er aber die Erquickungsreiche tief
Hinab in seinen heißen Busen trinken.

Und auferblühn in wonniger Beseelung
Wird, was an schönen Blüten in ihm schlief.
Ein treues Bild der Liebe, der Vermählung!


Sieh hier den Bach, anbei die Waldesrose.
Sie mögen dir vom Lieben und Vermählen
Die wandelbaren, täuschungsvollen Lose
Getreuer viel, als Berg und Wolk, erzählen.

Die Rose lauscht ins liebliche Getose,
Umsungen von des Haines süßen Kehlen,
Und ihr zu Füßen weint der Ruhelose,
Der immer naht, ihr immer doch zu fehlen.

Ein schönes Spiel! solang der Frühling säumt,
Die Rose hold zum Bach hinunter träumt,
Solang ihr Bild in seinen Wellen zittert.

Wenn Sommersgluten sie vom Strauche jagen,
Wenn sie vom Bache wird davongetragen,
Dann ist sie welk, der Zauber ist verwittert!


Die dunklen Wolken hingen
Herab so bang und schwer,
Wir beide traurig gingen
Im Garten hin und her.

So heiß und stumm, so trübe
Und sternlos war die Nacht,
So ganz, wie unsre Liebe,
Zu Tränen nur gemacht.

Und als ich mußte scheiden
Und gute Nacht dir bot,
Wünscht' ich bekümmert beiden
Im Herzen uns den Tod


Sahst du ein Glück vorübergehn,
Das nie sich wiederfindet,
Ist's gut in einen Strom zu sehn,
Wo Alles wogt und schwindet.

O, starre nur hinein, hinein,
Du wirst es leichter missen,
Was dir, und soll's dein Liebstes sein,
Vom Herzen ward gerissen.

Blick unverwandt hinab zum Fluß,
Bis deine Tränen fallen,
Und sieh durch ihren warmen Guß
Die Flut hinunterwallen.

Hinträumend wird Vergessenheit
Des Herzens Wunde schließen;
Die Seele sieht mit ihrem Leid
Sich selbst vorüberfließen.  


II. Presto

Der Traum war so wild, der Traum war so schaurig,
So tief erschütternd, unendlich traurig.
Ich möchte gerne mir sagen:
Daß ich ja fest geschlafen hab,
Daß ich ja nicht geträumt hab,
Doch rinnen mir noch die Tränen herab,
Ich höre mein Herz noch schlagen.

Ich bin erwacht in banger Ermattung,
Ich finde mein Tuch durchnäßt am Kissen,
Wie man's heimbringt von einer Bestattung;
Hab ich's im Traume hervorgerissen
Und mir getrocknet das Gesicht?
Ich weiß es nicht.
Doch waren sie da, die schlimmen Gäste,
Sie waren da zum nächtlichen Feste.

Ich schlief, mein Haus war preisgegeben,
Sie führten darin ein wüstes Leben.
Nun sind sie fort, die wilden Naturen;
In diesen Tränen find' ich die Spuren,
Wie sie mir Alles zusammengerüttet
Und über den Tisch den Wein geschüttet. 


III. Unruhig bewegt

Es weht der Wind so kühl, entlaubend rings die Äste,
Er ruft zum Wald hinein: Gut Nacht, ihr Erdengäste!

Am Hügel strahlt der Mond, die grauen Wolken jagen
Schnell übers Tal hinaus, wo alle Wälder klagen.

Das Bächlein schleicht hinab, von abgestorbnen Hainen
Trägt es die Blätter fort mit halbersticktem Weinen.

Nie hört ich einen Quell so leise traurig klingend,
Die Weid am Ufer steht, die weichen Äste ringend.

Und eines toten Freunds gedenkend lausch ich nieder
Zum Quell, er murmelt stets: wir sehen uns nicht wieder!

Horch! plötzlich in der Luft ein schnatterndes Geplauder:
Wildgänse auf der Flucht vor winterlichem Schauder.

Sie jagen hinter sich den Herbst mit raschen Flügeln,
Sie lassen scheu zurück das Sterben auf den Hügeln.

Wo sind sie? ha! wie schnell sie dort vorüberstreichen
Am hellen Mond und jetzt unsichtbar schon entweichen;

Ihr ahnungsvoller Laut läßt sich noch immer hören,
Dem Wandrer in der Brust die Wehmut aufzustören.

Südwärts die Vögel ziehn mit eiligem Geschwätze;
Doch auch den Süden deckt der Tod mit seinem Netze.

Natur das Ewge schaut in unruhvollen Träumen,
Fährt auf und will entfliehn den todverfallnen Räumen.

Der abgerißne Ruf, womit Zugvögel schweben,
Ist Aufschrei wirren Traums von einem ewgen Leben.

Ich höre sie nicht mehr, schon sind sie weit von hinnen;
Die Zweifel in der Brust den Nachtgesang beginnen:

Ists Erdenleben Schein? – ist es die umgekehrte
Fata Morgana nur, des Ewgen Spiegelfährte?

Warum denn aber wird dem Erdenleben bange,
Wenn es ein Schein nur ist, vor seinem Untergange?

Ist solches Bängnis nur von dem, was wird bestehen,
Ein widerglanz, daß auch sein Bild nicht will vergehen?

Dies Bangen auch nur Schein? – so schwärmen die Gedanken,
Wie dort durchs öde Tal die Herbstnebel schwanken.


IV. Ruhig und leise

Rings ein Verstummen, ein Entfärben:
Wie sanft den Wald die Lüfte streicheln,
Sein welkes Laub ihm abzuschmeicheln;
Ich liebe dieses milde Sterben. 

Von hinnen geht die stille Reise,
Die Zeit der Liebe ist verklungen,
Die Vögel haben ausgesungen,
Und dürre Blätter sinken leise. 

Die Vögel zogen nach dem Süden,
Aus dem Verfall des Laubes tauchen
Die Nester, die nicht Schutz mehr brauchen,
Die Blätter fallen stets, die müden. 

In dieses Waldes leisem Rauschen
Ist mir als hör' ich Kunde wehen,
daß alles Sterben und Vergehen
Nur heimlich still vergnügtes Tauschen. 


V. Rasch und kräftig

„Ach, wer möchte einsam trinken,
Ohne Rede, Rundgesang,
Ohne an die Brust zu sinken
Einem Freund im Wonnedrang?“ 

Ich; - die Freunde sind zu selten;
Ohne Denken trinkt das Tier,
Und ich lad aus andern Welten
Lieber meine Gäste mir. 

Wenn im Wein Gedanken quellen,
Wühlt ihr mir den Schlamm empor,
Wie des Ganges heilge Wellen
Trübt ein Elefantenchor. 

Dionys in Vaterarme
Mild den einzlen Mann empfing,
Der, gekränket von dem Schwarme,
Nach Eleusis opfern ging. 


O Einsamkeit! wie trink ich gerne
Aus deiner frischen Waldzisterne!

Heerwagen, mächtig Sternbild der Germanen,
das du fährst mit stetig stillem Zuge über den 
Himmel deine herrliche Bahn, von Osten 
aufgestiegen alle Nacht! O fahre hin und kehre 
täglich wieder! Sieh meinen Gleichmut und mein 
treues Auge, das dir folgt so lange Jahre! Und bin 
ich müde, o so nimm die Seele, die so leicht an 
Wert, doch auch an üblem Willen, nimm sie auf 
und lass sie mit dir reisen, schuldlos wie ein Kind, 
das deine Strahlendeichsel nicht beschwert, 
hinüber! – Ich spähe weit, wohin wir fahren.