11.10.25
Oslo Circles & Marianne Beate Kielland
Samstag 11. Oktober, 18 Uhr
Marianne Beate Kielland – Mezzosopran
Oslo Circles:
Astrid Kirschner – Barockvioline, künstlerische Leitung
Maria Ines Zanovello – Barockvioline
Gunnar Hauge – Barockcello
Karl Nyhlin – Erzlaute
Erik Dippenaar – Cembalo
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Konzertdauer: ca. 40 min │ Pause │ ca. 40 min
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Salamone Rossi (ca. 1570–1630)
Sinfonia grave
Claudio Monteverdi (1567–1643)
Si dolce é il tormento
Isabella Leonarda (1620–1704)
Sonata duodecima
Tarquinio Merula (1595–1665)
Canzonetta spirituale sopra alla nanna:
Hor ch’è tempo di dormire
Girolamo Frescobaldi (1583–1643)
Canzoni da sonare quarta a 2 canti
Toccata per l’Elevazione fra Fiori Musicali
Giovanni Felice Sances (ca. 1600–1679)
Pianto della madonna (Stabat mater)
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PAUSE
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Giovanni Antonio Pandolfi Mealli (1624–1687)
Sonata op. 4/6 „La Vinciolina“
Claudio Monteverdi
Pianto della Madonna (sopra Il Lamento d’Arianna)
Giovanni Girolamo Kapsperger (ca. 1580–1651)
Toccata Terza
(aus: Libro Primo d’Intavolatura di lauto)
Benedetto Ferrari (ca. 1603–1681)
Queste pungenti spine (cantata spirituale)
(aus: Musiche varie, libro secondo)
Marco Uccellini (1603 – 1680)
Sonata op.4 XXVI „La Prosperina“
Antonio Cesti (1623–1669)
Alma mia
(aus: „L’Argia“)
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„Ostinati Lamenti“ – Trauer in vier Tönen
Das Lamento ist eine der ältesten Ausdrucksformen menschlicher Emotionen in Literatur und Musik. Als literarisches Genre entstand es im Mittelalter in den romanischen Sprachen und hatte meist einen Charakter zum Gegenstand, der in der ersten Person über unerwiderte Liebe, erlittenen Verlust oder gar den eigenen Tod klagt. Im Italien der Renaissance gewann diese Form der Klage besondere Popularität. Einer der ersten Dichter, der das Wort „Lamento“ als Titel wählte, war Giambattista Marino. In einer seiner pastoralen Eklogen, die er Ende des 16. Jahrhunderts in Neapel schrieb und 1627 in Venedig veröffentlichte, lässt er den Hirten Aminta sein Leid über die verlorene Liebe zu Amarille besingen. Diese „Harmonie aus Seufzern und klagenden Tönen“ wurde zum poetischen Leitmotiv einer neuen, emotional aufgeladenen Kunstform.
Doch erst mit Claudio Monteverdi trat das Lamento endgültig aus der literarischen in die musikalische Welt hinaus. Seine Oper „Arianna“ (1608), von der nur das ergreifende „Lamento d’Arianna“ erhalten ist, markierte einen Wendepunkt: Zeitgenössische Berichte schildern, wie die erste Sängerin, Virginia Andreini, das Publikum zu Tränen rührte – ein Maßstab für die Wirkungskraft dieser neuen musikalischen Sprache. Das „Lamento d’Arianna“ war kein traditionelles Lied, sondern ein eigenständiges Stück mit einer dramatischen, innerlich bewegten Struktur – ein Modell, das für künftige Lamenti stilbildend werden sollte.
Im Verlauf dieser Entwicklung veränderte sich auch der musikalische Unterbau des Lamentos, wobei die Basslinie stärkeres Gewicht bekam. Immer häufiger wurde ein bestimmtes Motiv verwendet: vier absteigende Töne, eine Quarte umfassend, ein so genannter Tetrachord. Diese stetig wiederholte Figur, der sogenannte „basso ostinato“, wurde zum klanglichen Sinnbild der Verzweiflung. In ihrer unablässigen Wiederkehr spiegelt sie das Gewicht der Trauer, das die menschliche Seele niederdrückt – bis hin zur Raserei. Sie weckt Empathie und Mitgefühl beim Zuhörer und erzeugt eine fast physisch spürbare emotionale Wirkung.
Im heutigen Programm werden Vokalstücke, die von einem basso ostinato getragen werden (und insbesondere das absteigende Viertonmotiv enthalten), von Sinfonien und Toccaten für ein oder mehrere Instrumente einiger der berühmtesten Komponisten der Epoche eingeleitet, darunter Girolamo Frescobaldi, Johannes Hieronymus Kapsberger, Giovanni Antonio Pandolfi Mealli und Marco Uccellini.
Ein besonders aufschlussreiches Beispiel für die Vielfalt der Lamentokunst ist Monteverdis strophischeArie „Si dolce è il tormento“ (1624). Auf den ersten Blick entfernt sie sich von dem bisher beschriebenen Typus: Die Basslinie folgt keinem strengen Ostinato, und die Hauptfigur klagt nicht über einen existenziellen Verlust, sondern über eine „Qual“, die zugleich „süß“ ist – eine paradoxe, ja beinahe genussvolle Seite der Liebe. Dennoch verwendet die Melodie, mit der diese Gegensatzpaare (süß/Qual, grausam/Schönheit) ausgedrückt werden, ein doppeltes absteigendes Viertonmotiv, wiederholt in einer Ostinato-Form. Wie die dritte Strophe erklärt, ist das Herz der Hauptfigur ständig gequält, und nur der Tod kann Linderung bringen: „Durch Feuer und Eis habe ich keine Ruhe […] wenn der tödliche Schlag mit einem unbeugsamen Pfeil mein Herz verwundet hat, werde ich mein Herz heilen, indem ich mein Schicksal mit dem Pfeil des Todes wende“. Das freudige Äußere des „luftigen Schleiers“ verbirgt daher ein echtes Lamento, an das die absteigenden Tetrachorde erinnern.
Mit dem Aufkommen der öffentlichen Opernhäuser in Venedig fand das Lamento einen neuen, zentralen Platz in der musikalischen Dramaturgie. In Antonio Cestis Arie „Alma mia“ aus der Oper „L’Argia (1655) klagt die Prinzessin Argia über den Verrat ihres Geliebten, des Königs Selino. Um sich zu rächen, verkleidet sie sich als Diener Laurindo – eine Maskerade, die die Handlung in Bewegung setzt und schließlich zu einer versöhnlichen Lösung führt. „Alma mia“ ist ein Musterbeispiel dafür, wie eng im barocken Musiktheater persönliche Emotion, dramatische Handlung und musikalische Struktur miteinander verflochten waren – und wie das absteigende Motiv auch in neuen, flexibleren Formen weiterhin die Sprache der Klage prägte.
1637 veröffentlichte Benedetto Ferrari seine zweite Sammlung „Musiche varie a voce sola“. Darin findet sich die Kantate „Queste pungenti spine“, ein Musterbeispiel für den virtuosen Umgang mit der Lamentostruktur. Über einem ostinat wiederholten absteigenden Viertonmotiv entfaltet sich hier eine vokale Linie von schwindelerregender Virtuosität, die sich in jeder Strophe neu erfindet und von einem wiederkehrenden Refrain zusammengehalten wird. Diese Technik zeigt, wie sehr sich das Lamento im Laufe des 17. Jahrhunderts zu einer Kunstform entwickelte, die sowohl Raum für tiefe Emotion als auch für technische Meisterschaft bot. Die starre Struktur des Ostinatos wurde zum Sprungbrett für expressive Vielfalt.
Dass sich das Lamento nicht nur in der Oper, sondern auch in der geistlichen Musik fest etablierte, zeigt sich besonders deutlich im Werk Tarquinio Merulas. In seiner geistlichen Canzonetta „Hor ch’è tempo di dormire“ (1638) erklingt im Bass unablässig ein Halbton-Intervall, eine beinahe hypnotische Wiederholung, über der die Singstimme eine Reihe virtuoser Variationen spinnt. Diese umkreisen die unterschiedlichen Affekte, die der Text andeutet: Zärtlichkeit und Geborgenheit der Mutter Maria, die ihr Kind in den Schlaf wiegt – aber auch das schmerzliche Wissen um das Opfer, das es einst bringen wird. Im Schlussabschnitt, wenn das Kind eingeschlafen ist, weicht die starre Bassfigur einer lebendigeren Sequenz im basso continuo. Hier kehrt das klassische absteigende Viertonmotiv zurück, doch diesmal nicht als Ausdruck akuter Trauer: Die Mutter braucht ihren Schmerz nicht mehr auszusprechen – er ist still geworden, sie verharrt „mit geneigtem Haupt“ und wacht über ihr Kind.
Passenderweise wird Merulas Wiegenlied in diesem Programm von einer Sonate der Komponistin Isabella Leonarda eingeleitet – einer Nonne aus Novara, die im 17. Jahrhundert über 200 geistliche Werke schrieb. Sie steht stellvertretend für eine Generation von Musikerinnen, die das Lamento auch im sakralen Raum zu einer Kunstform veredelten.
Auch Giovanni Felice Sances, ein römischer Komponist und Sänger, der über Venedig an den kaiserlichen Hof nach Wien gelangte, nutzte die Kraft des Ostinatos für die geistliche Musik. Sein „Pianto della Madonna“ (1638) vertont das mittelalterliche Gedicht Stabat Mater – eine der eindringlichsten und schmerzvollsten Gebete des Christentums. Nach einer kurzen Einleitung setzt eine ostinate Basslinie ein, ein absteigendes Motiv mit chromatischer Ausschmückung, das wie eine Träne stetig zu Boden fällt. Sances’ Werk steht damit in einer Tradition, die später auch Henry Purcell aufgreifen sollte – etwa in Didos berühmtem Schluss-Lamento aus „Dido and Aeneas“.
Zwei Jahre nach Sances griff auch Claudio Monteverdi das Thema erneut auf. In seiner großen Sammlung geistlicher Werke, der „Selva morale e spirituale“, widmete er ein weiteres „Pianto della Madonna“ Eleonora Gonzaga, der Gattin des Kaisers. Dabei handelte es sich um ein so genanntes contrafactum: Monteverdi übernahm sein eigenes „Lamento d’Arianna“ von 1608, unterlegte es jedoch mit neuem, geistlichem Text. Damit schloss sich der Kreis: Das Lamento, das als dramatischer Monolog einer verlassenen Liebenden begann, kehrte als Marienklage zurück – gereift, verinnerlicht und durchdrungen von spiritueller Tiefe.
Dinko Fabris
(aus dem Englischen übersetzte und
gekürzte Fassung des Textes zur
CD „Lamento“, LAWO Classics 2022)
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Marianne Beate Kielland
„Eine Sängerin mit solch einer Ausstrahlung forderte ihre Kollegen heraus.“ (DrehPunktKultur)
Die
Mezzosopranistin Marianne Beate Kielland ist bekannt für ihre starke
Bühnenpräsenz und musikalische Integrität. Das Gramophone Magazine
schreibt über sie: „Dieser Mezzosopran ist außergewöhnlich: stark, fest,
einfühlsam in den Modulationen, fantasievoll im Umgang mit Worten, mit
einer Stimme von reiner Qualität, großem Umfang und unerschütterlich
sicherer Intonation.“
Sie ist eine der führenden Konzertsängerinnen
Europas und tritt regelmäßig in den Konzertsälen Europas, Japans und
Amerikas mit Dirigenten wie Masaaki Suzuki, Andrew Manze, Michel Corboz,
Leonardo Alarcon, Herbert Blomstedt, Christopher Moulds, Jordi Savall,
Rinaldo Alessandrini, René Jacobs, Pablo Heras-Casado, Han-Na Chang,
Juanjo Mena und Ottavio Dantone auf.
Obwohl Marianne Beate
Kielland sich in ihrer 25-jährigen Karriere auf das Konzertrepertoire
konzentrierte, trat sie auch auf großen Opernbühnen auf: im
Bolschoi-Theater in Moskau, in der Opéra Comique in Paris, in der Opéra
Royal de Versailles, bei der Mozartwoche in Salzburg und im New National
Theatre in Tokio.
2012 wurde sie für den US-Grammy in der Kategorie
„Best Vocal Classical Album“ für „Veslemøy Synsk“ von Olav Anton
Thommessen nominiert. Mit dieser und mehr als 65 weiteren Aufnahmen
sowie einem breiten Repertoire und vielfältigen Auftritten hat sie sich
als bemerkenswerte Interpretin von Musik vom Barock bis zur Gegenwart
etabliert. Sie ist künstlerische Leiterin des Oslo Chamber Music
Festival und Associate Professor in Teilzeit an der Norwegischen
Musikakademie.
Oslo Circles
Oslo Circles ist ein 2015 gegründetes Barockensemble aus Oslo, alle Musiker sind etablierte und führende Musiker aus der skandinavischen und internationalen Barockmusik-Szene. Die Barockgeigerin Astrid Kirschner versammelt in Oslo kammermusikalische Kreise um sich, daher der Name Oslo Circles. Ihre Musiker findet man ansonsten auch in Ensembles wie Concerto Copenhagen, B'Rock, Helsinki Baroque Orchestra, Academia Montis Regalis, Barokkanerne, oder der Akademie für Alte Musik Berlin. Oslo Circles verbindet eine enge Zusammenarbeit mit Artisten wie Johannes Weisser (Bassbariton), David Hansen (Kontratenor), Mariannne Beate Kielland (Mezzosopran), Magnus Staveland (Tenor), Rinaldo Alessandrini (Cembalo), Barthold Kuijken (Traversflöte) und Berit Norbakken (Sopran). Oslo Circles war bei vielen internationalen Barockfestivals zu Gast, wie Tage Alter Musik Regensburg, Froville Festival (Frankreich), Barocktage Stift Melk (Österreich), Oslo Kammermusikfestival (Norwegen), Korkyra Barockfestival (Kroatien), Baroque & Beyond (Schweden), Wunderkammer (Italien), Spazio & Musica (Italien) und Varazdin Baroque Evenings (Kroatien), bei dem Oslo Circles im September 2019 auch den Kritikerpreis für die beste musikalische Interpretation des Festivals erhielt.
Oslo Circles wird vom Norwegischen Musikrat unterstützt, vom Fond für ausübende Künstler (Norwegen), vom Aksel Bye's Legat, Music Norway sowie von der Stadt Oslo.
Oslo Circles' erste CD für SIMAX (One Charming Night, mit David Hansen, Kontratenor) mit Arien und Theatermusik von Henry Purcell wurde im November 2019 veröffentlicht. Die Presse nannte die Aufnahme „gänzlich grossartig“, die Musiker „wunderbar einfallsreich“ und schrieb: „kurz gesagt, ist dies die vergnüglichste Aufnahme, die ich seit Jahren gehört habe.“ (Martin Anderson, Klassiskmusikk.com, 6 von 6 Sternen). Bayern 4 Klassik lobte in ihrem CD-Tipp den “Gute-Laune-Sound, dass die Funken nur so sprühen“ und meinte: „wahrlich zauberhaft ist diese skandinavische Perspektive auf Purcell.“
Oslo Circles' zweite Einspielung, „Lamento“ (LAWO) zusammen mit der Mezzosopranistin Marianne Beate Kielland kam im Januar 2022 auf den Markt, und wurde wieder von der Presse hochgelobt: „Gleichermaßen musikalischer Genuss sowie intellektuelle Anregung.“ (Fanfare), „Ein Nonplusultra für Barockfans.“ (Fono Forum, 5 von 5 Sternen), und das spanische Musikmagazin Scherzo meinte schlichtweg: „Grossartige CD.“
„Lamento“ wurde für den deutschen OPUS KLASSIK 2022 in drei Kategorien nominiert; Sängerin des Jahres, Ensemble des Jahres sowie beste Kammermusik-Einspielung des Jahres.