22.06.25
Pianorecital Mari Kodama
Sonntag, 22. Juni, 11 Uhr
Beethoven-Sonatenzklus II
Sturm und Natur
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Konzertdauer: ca. 40 min │Pause │ca. 35 min
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Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Klaviersonate d-Moll op. 31 Nr. 2
(„Der Sturm“)
I. Largo – Allegro
II. Adagio
III.
Allegretto
Rodolphe
Bruneau-Boulmier (*1982)
Lune claire après la tempête
Ludwig van Beethoven
Klaviersonate cis-Moll op. 27 Nr. 2
(„Mondscheinsonate“)
I. Adagio sostenuto
II. Allegretto
III. Presto agitato
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PAUSE
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Rodolphe Bruneau-Boulmier
Kosmos (Uraufführung)
Ludwig van Beethoven:
Klaviersonate D-Dur op. 28
(„Pastorale“)
I. Allegro
II. Andante
III. Scherzo. Allegro vivace
IV. Rondo. Allegro ma non troppo
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„Sturmsonate“ – „Mondscheinsonate“ – „Pastorale“: Die Titel, die Ludwig van Beethovens Klaviersonaten op. 31, Nr. 2 (1802), op. 27, Nr. 2 (1801) und op. 28 (1801) gegeben wurden, sind von zwiespältiger Aussagekraft. Sie stammen nicht vom Komponisten, sondern zum einen von einem geschäftstüchtigen zeitgenössischen Verleger („Sonata pastorale“, London 1805) zum anderen von einer Nachwelt, die in Beethovens unerhörter Musik anhand poetischer Bilder Orientierung suchte.
„Lesen Sie Shakespeares Sturm!“ Dieser Hinweis, den Beethovens nicht durchweg zuverlässiger Sekretär und erster Biograf Anton Schindler vom Komponisten selbst zur Erklärung seiner d-Moll-Sonate op. 31, Nr. 2 erhalten haben soll, trägt jedoch ebenso wenig zum Verständnis des Werkes bei, wie die auf den Musikschriftsteller Ludwig Rellstab zurückgehende Mondschein-Assoziation im Falle der cis-Moll-Sonate op. 27, Nr. 2. Stattdessen hilft es, sich auf die neuartigen Formverläufe einzulassen, die sich zwar mitunter noch auf traditionelle Sonatenmuster beziehen, diese aber zugunsten einer jeweils individuellen Satzdramaturgie oft umdeuten, ausweiten oder komplett verlassen. Insofern ist Beethovens eigener Untertitel für die cis-Moll-Sonate als Anhaltspunkt aufschlussreicher: „Sonata quasi una fantasia“.
In der „Sturmsonate“ überrascht der Kopfsatz mit einer langsamen Largo-Einleitung, die sich nicht darauf beschränkt, mit einem weit ausgreifenden, pedalverhangenen Arpeggio Spannung aufzustauen, die sich dann in einem atemlosen Allegro-Thema entlädt. Vielmehr kehrt sie an Scharnierstellen des Satzes wieder, verselbstständigt sich als Weitung des harmonischen Raumes oder wird zu einem versonnenen Rezitativ fortgeführt. Mehr noch: das Einleitungs-Arpeggio löst auch den Adagio-Mittelsatz aus, auf dessen zwischen tiefem und hohem Register wechselnden Oktavtriller Franz Schubert sehr genau gehört zu haben scheint. Der 3/8-Takt des Allegretto schließlich entwickelt eine ungebremste, fast obsessive Bewegungsenergie.
Das Adagio sostenuto der cis-Moll-Sonate verdankt seinen Ausnahmestatus dem hypnotischen Sog, den die durchlaufende, scheinbar auf der Stelle kreisende Triolenfigur erzeugt. Darüber und darunter findet zwar durchaus harmonisch und thematisch Relevantes statt, doch indem der Eindruck einer Zustandsbeschreibung, nicht einer Entwicklung vorherrschend bleibt, nimmt der Satz das romantische Charakterstück auf faszinierende Weise vorweg. Das Allegretto holt als nur etwa zweiminütiges Intermezzo Luft für den ungeheuerlichen Finalsatz. Dieses Presto agitato stürmt derart dramatisch und gewalttätig voran, dass vom vermeintlichen Mondschein nur ein zerzauster Alptraum übrig bleibt.
Die D-Dur-Sonate op. 28 mutet mit ihrem Festhalten an der „normalen“ Viersätzigkeit konventioneller an als die beiden anderen Sonaten dieses Programms. Ihren ganz eigenen Gestus erhält sie durch die Flächigkeit der Gestaltung, in der harmonische und thematische Entwicklungen stets von längeren ostinaten Rhythmen getragen werden. Die bordunartigen, aus der Ferne Volksmusikalisches erahnbar machenden Eröffnungstakte des ersten und letzten Satzes haben dabei wohl die Assoziation „Pastorale“ hervorgerufen. Ein Schwesterwerk der Pastoralsinfonie mit ihren klar benannten Empfindungswelt ist die Sonate deshalb aber nicht.
Das
besondere an Mari Kodamas Beethoven-Zyklus ist, dass sie dessen Sonaten
in einen zeitgenössischen Dialog treten lässt. Rodolphe Bruneau-Boulmier
hat dafür eigens Stücke geschrieben, die auf Beethovens Werke
reagieren, auf sie hinführen, sie in ein neues Licht rücken. Der 1982
geborene Komponist beschreibt seine Herangehensweise so:
„Für
jedes Konzert in diesem Zyklus habe ich mir Passagen, Schlüsse oder
Einleitungen zu Beethovens Sonaten ausgedacht. Für einige von ihnen habe
ich das innovative Element, die Mutterzelle oder die treibende Idee
berücksichtigt. Bei anderen ist es der Ausdruck, die lyrische Tiefe und
die Kraft der emotionalen Botschaft, die ich mit meiner Musik verlängern
oder zum Nachklingen bringen möchte. Es geht hier nicht darum,
Beethoven zu imitieren – er ist per Definition unnachahmlich –, sondern
vielmehr darum, mit meiner Sprache, die dem 21. Jahrhundert angehört,
einen Dialog, einen kurzen Kontrapunkt zu imaginieren, ohne jemals in
Beethovens Schaffen einzugreifen. Es inspiriert mich, zwingt mich,
Risiken einzugehen, unerforschte Welten auszuprobieren, die Grenzen des
Instruments zu erweitern, aber auch, das höchste Niveau anzustreben.“
Bei jenem Werk, das zwischen der „Sturm“- und der „Mondscheinsonate“ erklingt, ist der Titel Programm: Mit „Lune claire après la tempête“ (Klarer Mond nach dem Sturm) von 2015 schafft Bruneau-Boulmier einen Übergang von einer Klangwelt in die andere, wobei „Lune claire“ mit dem französischen Wort für Mondschein spielt: „Clair de lune“.
Eine Uraufführung dürfen wir im Fall von „Cosmos“ erleben. Zu diesem neuen
Stück schreibt der Komponist:
„Die Geburt einer Klangwelt, mit
ihren Anfängen, ihren Versuchen und dann ihren Ausbrüchen, ihrer
schmelzenden Materie, ihrem Urknall. Aus dieser scheinbaren Unordnung erwächst die Ordnung. Nach und nach entstehen durch das Organische, den
Aufbau und die Entwicklung von Ideen die Natur und die Landschaft. Ich
habe mir in Musik die Welt vor Beethovens Pastoralsonate vorgestellt.
Eine Welt, die sich um diese obsessive Note D aus dem ersten Satz der
Sonate herum aufbaut. Eine Welt, die nach einem der wichtigsten Werte
bei Beethoven sucht: dem Ideal.“
Dr. Juan Martin Koch (c) Kulturwald gGmbH 2025
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Mari Kodama
„Kodama fängt dieses Gefühl der Größe in einer Darbietung ein, die feurig und nachdenklich zugleich ist.“ (BBC Music Magazine, 2023)
Mari Kodama wird beständig für ihre Virtuosität in einem breiten Spektrum an Repertoire gelobt, das sowohl Orchester- als auch Kammermusik- sowie Solowerke von Komponisten aller Epochen umfasst. Zudem ist sie für ihre natürliche Musikalität, klangliche Ausdrucksstärke mit einer klaren Form und auch als maßstabsetzende Beethoven-Interpretin bekannt.
In der Saison 2024/25 stellt Mari Kodama ihre vielfältigen Talente mit verschiedenen internationalen Konzertauftritten unter Beweis, darunter ein Eröffnungskonzert mit Le Cercle de l'Harmonie in Paris (Jérémie Rhorer), wo sie Beethovens Klavierkonzert Nr. 1 auf dem Hammerflügel spielt, sowie Konzerte mit den Würth Philharmonikern (Kent Nagano) und der Filarmonica de Stat Transilvania (Larry Forster). Mari Kodama gibt ein Duoabend mit Julian Prégardien und kehrt ins Konzerthaus Blaibach zurück, um ihre Reihe mit allen 32 Klaviersonaten Beethovens und neuen Werken von Rodolphe Bruneau-Boulmier fortzusetzen. Zu den weiteren Höhepunkten der letzten Saison zählten ein Open-Air-Konzert mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg, drei Saisoneröffnungskonzerte mit dem National Symphony Orchestra, Taiwan (Lan Shui), Debütkonzerte mit dem Haydn-Orchester Bozen und Trient, eine Rückkehr zum Japan Philharmonic (Kahchung Wong), ein Solo-Recital beim Festival Louvre Lance sowie Duo-Auftritte mit Momo Kodama in Japan und im Salle Bougie in Montreal.
Als weitere Demonstration ihrer Vielseitigkeit spielte sie eine zentrale Rolle in der äußerst erfolgreichen Ballettproduktion „Beethoven Projekt II“ (John Neumeier), mit der die Staatsoper Hamburg nach monatelanger Schließung von Covid-19 wiedereröffnet wurde und die 2022/23 mit acht Vorstellungen wiederaufgenommen wurde. Im Rahmen eines Liederabends arbeitete sie mit Markus Hinterhäuser zusammen, der Messiaens „Visions de l'Amen“ aufführte. Außerdem organisierte sie das Beethoven-Festival „A Life in a DayÓ in San Francisco, bei dem alle 32 Klaviersonaten Beethovens an zwei Tagen von 14 verschiedenen Solisten aufgeführt wurden.
Das Klavierwerk Ludwig van Beethovens bildet einen Schwerpunkt in Mari Kodamas Diskographie. Sie ist eine der wenigen Pianistinnen, die alle seine 32 Klaviersonaten für CD eingespielt hat. Die 2014 bei Pentatone erschienene Box wurde von der Kritik hervorragend besprochen. Im Herbst 2019 veröffentlichte sie Beethovens Nulltes Klavierkonzert WoO 4, sein nahezu unbekanntes Jugendwerk, das gemeinsam mit seinem Rondo für Klavier und Orchester WoO 6 und seinen „Eroica“-Variationen für Klavier solo op. 35, die Beethoven CD-Box mit sämtlichen Klavierkonzerten Beethovens sowie dem Tripelkonzert gemeinsam mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin und Kent Nagano ergänzt (Berlin Classics, 2019). Kodamas jüngste CD-Veröffentlichungen sind Mozarts Konzerte für drei Klaviere und Poulencs Konzert für zwei Klaviere mit dem Orchestre de la Suisse Romande sowie ein nuanciertes Portrait von Anton Bruckners Klavierwerken auf Pentatone (Oktober 2024).
Durch ihre Konzertaktivität bringt Mari Kodama immer wieder Raritäten der Klaviermusik weltweit zu Gehör. Sie spielte etwa Stenhammers Klavierkonzert Nr. 2 in Göteborg sowie New York und hat mit Viviane Hagner zusammen Alban Bergs Kammerkonzert für Klavier und Violine aufgeführt - sowohl mit der Jyväskylä Sinfonia als auch mit dem DSO Berlin. Daneben hat sie 2013 gemeinsam mit Momo Kodama Jean-Pascal Beinthus’ Doppelkonzert für Klavier mit dem Orchestre Philharmonique de Monte Carlo uraufgeführt sowie die kanadischen Erstaufführungen von Jörg Widmanns Stücken Valse Bavaroise und Humoresken beim Orford Festival 2010 gespielt.
Neben ihren Auftritten übernimmt Mari Kodama auch die Rolle als künstlerische Leiterin von Musikfestivals: Sie war Mitbegründerin und Leiterin des Kammermusik-Festivals „Forest Hill Musical Days“ in San Francisco, einer Konzertreihe, die sie zusammen mit ihrem Mann Kent Nagano ins Leben gerufen hat, und leitete die Kammermusikreihe des Orford Music Festivals. 2018 übernahm sie die künstlerische Leitung des Festivals „Tra Luce & Sogno“ in Postignano, Italien, für das sie Künstler, wie z.B. Christian Gerhaher, Matt Haimowitz und Gerold Huber, neben anderen gewinnen konnte. Mari Kodama ist ein Steinway Artist.
www.marikodama.com